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AutorenbildAntje

Von der Restaurantküche ins Versorgungszelt

Zwischen zerstörten Häusern, Baufahrzeugen und dreckigen Straßen steht ein großes, weißes Zelt. Es ist für viele in den Wochen nach der Flutkatastrophe zur Zuflucht geworden. Eine Oase mitten im Chaos. Stetig kommen und gehen Menschen hinein und hinaus. Auch um das Zelt herum herrscht reges Treiben.

Mitten in diesem Treiben steht ein junger Mann Anfang Dreißig hinter einer silber glänzenden Theke und ist in seine Arbeit vertieft. Als ich auf ihn zu komme, blickt er lächeln auf. „Bist du Tobi? Wir haben einen Termin.“ Er streckt mir die Hand entgegen. „Ja, richtig. Ich komme sofort.“


Kurze Zeit später sitzen wir uns mit Kaffee ausgerüstet an einem von zwei Biertischgarnituren draußen unter einem Bierzelt gegenüber. Tobias steckt sich eine Zigarette an, nachdem er sich vergewissert hat, dass dies niemanden am Tisch stört. Dann beginnt er zu erzählen.

Der 33-jährige ist seit sieben Wochen im Ahrtal. Das war so eigentlich nicht geplant. Er hatte vor eine Fahrradtour quer durch Deutschland zu machen. Der gelernte Koch hat ein Jahr lang in einem Restaurant in Neuhausen gearbeitet. Durch CORONA wurde dieses von November 2020 bis zum Juli 2021 geschlossen. „Jetzt hatte man mal eine Phase, in der man wirklich Freizeit hatte und in der einem natürlich auch viele Dinge ins Auge gefallen sind: dass das Leben sich nicht immer nur um Arbeit dreht. Um aus diesem Hamsterrad raus zu gehen, habe ich gesagt: jetzt lässt du Arbeit, Arbeit sein und machst dich einfach auf den Weg.“


Tobias ist eigentlich keine besonders auffällige Erscheinung. Dennoch lassen ihn seine Ausstrahlung und sein Selbstbewusstsein aus der Masse heraus stechen. Kastanienrote Haare sowie ein Bart in der selben Farbe umrahmen sein Gesicht. Die türkisfarbenen Augen blicken freundlich, doch zeigen auch, dass der junge Mann nicht um einen Scherz verlegen ist. Das bestätigen auch die leichten Lachfalten um seine Augen und Mundwinkel. Er trägt eine schwarze Kappe auf dem Kopf, ein dunkelgraues T-Shirt und schwarze Arbeitsshorts.

Nun hat er das Kommando über die Küche im Versorgungszelt Walporzheim. „Die Aufgabe der Küche ist die Versorgung hier in Walporzheim sicher zu stellen. Das beginnt mit dem Frühstück und zieht sich dann bis spät abends. Und das halt jeden Tag, sieben Tage die Woche.“

Doch warum macht Tobias das, wenn er doch eigentlich eine Pause von der Arbeit haben wollte? Was treibt den Koch an? „Dass die Hilfe hier nach wie vor benötigt wird.“

Als Belastung empfindet er die Arbeit ebenfalls nicht: „Also hier ist es nicht so, dass du viel arbeitest und tust und machst und dass das einen energetisch runter zieht oder so. Es beflügelt und es ist sehr motivierend. Es ist ein positiver Stress.“


Das Kommando in der Küche hat er schon nach zwei Tagen in seiner Zeit im Ahrtal bekommen. „Die ersten zwei Tage war ich selber noch im Schlamm unterwegs und habe Keller mit ausgeschaufelt.“, erzählt er lächelnd. Dann wurde er gefragt, was er gelernt hat und schon war er in der Küche. Die Hilfe ließ dort auch nicht lange auf sich warten. Tobi berichtet: „Ich glaube, ich habe die Küche zwei, drei Tage gehabt. Dann stand Rudi [Dircksen] vor mir. Ganz plötzlich aus dem Nichts und meinte: Brauchst du Leute für die Küche, die dich unterstützen? Wir können ein Zwei-Schicht-System machen. Dann kommen morgens welche und abends.“

Seit dem bekommt der junge Koch täglich tatkräftige Unterstützung. „Ohne die Unterstützung von der freien christlichen Gemeinde aus Neuwied wären wir nicht so weit gekommen.“, sagt er dankbar.

Eigentlich hält der Aussteiger nicht besonders viel von Kirchen. Er ist vor einiger Zeit aus seiner Kirche ausgetreten, weil sie ihm zu politisch geworden war. Doch in den Wochen im Ahrtal hat er Gott trotzdem bemerkt. Er sagt, es seien „gewisse Kontakte, gewisse Zufälle, gewisse Menschen, die [er] hier kennen [lernt]“. Auch die Helfer aus der Küche haben Eindruck auf ihn gemacht. „Es ist ein schönes Miteinander. Das ist nie so, dass wir dastehen und ein böses Gesicht ziehen, auch wenn es manchmal stressig und hektisch ist. Trotzdem haben wir alle Spaß miteinander, tauschen uns gut aus, lachen viel und es ist sehr locker.“

Während unseres Gespräches kommen wiederholt Leute, die Fragen an ihn haben und seine Hilfe brauchen. Er verweist sie gutmütig weiter. Momentan konzentriert er sich auf das Gespräch. Eigentlich hätte er heute auch seinen freien Tag gehabt. Trotzdem ist der Küchenchef von Walporzheim im Dienst. Abschalten fällt ihm schwer. Momentan wohnt er in einer Hausmeisterwohnung vor Ort, die ihm zusammen mit einem kleinen Transporter als Rückzugsort dient. Er ist also dauerhaft mitten im Geschehen. Doch trotz der Arbeit von früh morgens bis spät abends, strahlt der 33-Jährige Freude, Zuversicht und Humor aus.

Nach unserem Gespräch beginnt die Arbeit wieder für ihn. Von da an sieht man ihn immer wieder hin und her laufen, hier und dort etwas erledigen, jemandem helfen, anweisen oder mit jemandem sprechen. Pausen macht er zwischendurch nur zum Rauchen. Den Kaffee trinkt er so nebenbei.

Kurz zeigt er mir noch einen Dankesbrief, den eine Frau aus Goslar der Küche zukommen lassen hat. „So etwas bekommen wir hier immer wieder“, gibt Tobi zu.

Der energische Mann gehört mittlerweile zur Küche des Versorgunszeltes in Walporzheim dazu. Jeder, der dort war, kennt ihn und so einige sind ihm dankbar für seine Arbeit. Ein Restaurantkoch in einer Zeltküche. Das gibt es nicht alle Tage. Doch Tobias liebt seine Arbeit hier sichtlich. Das zeigen nicht nur seine leuchtenden Augen, sondern auch die Art wie er davon berichtet und mit den Menschen umgeht. Es scheint als wäre er für diese Aufgabe geboren worden.



Von links nach rechts: Hanna P., Antje (ich), Tobias

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